Thi My Lien Nguyen und Fernando Obieta
Zwei Winterthurer an der Jungkunst
Mal laut, mal leise, mal ernsthaft oder ausgelassen: Vom 28. bis 31. Oktober findet in der Halle 53 auf dem Sulzer-Areal die 15. Jungkunst statt. Mit Thi My Lien Nguyen und Fernando Obieta sind auch zwei Winterthurer am Festival für junge Schweizer Kunstschaffende vertreten.

Die 26-jährige Thi My Lien Nguyen lässt ihre vietnamesische Herkunft in die Kunst einfliessen.
Joël Hunn
Fotos kennt man für gewöhnlich im kleinen Format: Auf dem Handy, im Fotoalbum, in der Zeitung. Die drei Fotografien, mit welchen Thi My Lien Nguyen an der diesjährigen Jungkunst vertreten ist, werfen diese Vorstellung über Bord. Die 26-Jährige zeigt ihre Werke in Übergrösse, bedruckt auf bis zu zwölf Quadratmeter grossen Vorhängen. Mit den sich bewegenden Stoffbahnen möchte die Künstlerin das fluide Zugehörigkeitsgefühl von Einwandererkindern dritter Generation zum Ausdruck bringen. «In uns bewegen sich immer mehrere Welten, die zu einem stetigen Aushandeln und Ausgleichen in uns auslösen», sagt Nguyen, deren Eltern aus Vietnam stammen.

Thi My Lien Nguyen beschäftigt sich in ihrer Kunst mit der asiatischen Esskultur.
Thi My Lien Nguyen
Ihre Herkunft bildet die Basis ihres künstlerischen Schaffens. Die freischaffende Fotografin setzt sich mit Themen der Migration und Identität auseinander und hinterfragt dabei die vietnamesisch-diasporische Erfahrung, die sie selbst erlebt. Sie möchte einen Diskurs über Migrations- und Mehrheitsgesellschaften führen und die Bedeutung der Esskultur in asiatischen Communitys in ihrer Kunst erkennbar machen. Letztes Jahr hat Nguyen deshalb den Verein Mili’s Supperclub gegründet und bekocht ihre Gäste auf Vietnamesisch. Dabei erzählt sie ihnen, welche Bedeutung das servierte Essen für sie, ihre Familie, aber auch für die vietnamesische Gemeinschaft in der Diaspora hat. «Vietnamesisches Essen bedeutet Liebe und Fürsorge», erzählt Nguyen, die an der Hochschule Luzern Design und Kunst studiert hat. An der Jungkunst wird sie zwei Kochperformances darbieten, für welche sich Gäste im Vorfeld anmelden konnten. «Ich möchte den Ahnenkult aufgreifen und mit den Teilnehmenden über verschiedene Themen diskutieren wie etwa Rassismus gegenüber Asiatinnen und Asiaten.»
An der Jungkunst vernetzen
Im letzten Dezember konnte Nguyen im Kunst Museum Winterthur ausstellen, die Jungkunst sei aber kein Vergleich dazu, wie sie sagt: «Die Atmosphäre ist eine andere, das Team ist jung und die Location auf dem Sulzer-Areal lässt es zu, etwas auszuprobieren.» Für sie sei der Anlass zudem eine gute Möglichkeit, neue Leute kennenzulernen. Nguyen, die in Amriswil aufgewachsen ist, zog kurz vor dem ersten Lockdown nach Winterthur. Corona habe nur bedingt zugelassen, sich zu integrieren. Und trotzdem: «Ich habe ein schönes Plätzchen gefunden und fühle mich hier sehr willkommen.»

Der 31-jährige Fernando Obieta ist gelernter Buchhändler und nur versehentlich in die Kunst gerutscht.
Fernando Obieta
Gesellschaftliche Grundsätze und Prozesse hinterfragen – dafür setzt Fernando Obieta seine Kunst ein. «Im Vergleich zu den Geisteswissenschaften oder dem Journalismus darf Kunst naive Fragen aktiv stellen, ohne Antworten liefern zu müssen und dennoch kritisch über Themen nachdenken. Sich zu fragen, was ist mit dem? Wohin führt das? Einen Diskurs zu starten. Kunst muss nicht aufklären, sie soll aber einen Reflexionsraum öffnen», sagt der 31-Jährige, der als einer der 25 Kunstschaffenden seine Werke an der Jungkunst zeigen wird.
Seine Werke, das sind drei Installationen, die auf technischen Irritationen basieren. «Ich bin Designer und Programmierer. Da werde ich mit Dingen konfrontiert, welche ich nicht verstehe. Das macht neugierig», verrät Obieta und nennt die Kommunikation via Text-Message als Beispiel. Kurz und bündig, mit möglichst wenigen Zeichen und Abkürzungen – so sieht eine SMS aus. Das führe zu Missverständnissen, welche der Winterthurer in seiner Kunst darstellen möchte. So zeigt er in der Halle 53 etwa einen Kassenzetteldrucker, der an der Decke montiert ist und eine Unterhaltung in Echtzeit druckt. «Egal, ob zwei Jahre oder zwei Minuten zwischen Nachrichten liegen: Auf dem Smartphone ist der zeitliche Abstand visuell nicht erkennbar.» Auf seiner Installation hingegen schon.

Fernando Obieta stellt in seiner Kunst die Probleme der SMS-Kommunikation dar.
Fernando Obieta
Versehentlich in die Kunst gerutscht
Weiter demonstriert Obieta, dass die bei Textnachrichten fehlenden nonverbalen Ebenen wie Mimik und Gestik ebenfalls schnell zu Missverständnissen führen können. Auch Ironie sei nur beschränkt vermittelbar. Der Künstler hat 16 reale Konversation von zwei Schauspielern frei interpretieren und nachsprechen lassen und spielt diese auf zwei Displays ab. Dazwischen befindet sich ein Kopfhörer. «Somit steht der Betrachter in einem voyeuristischen Zwischenraum», erklärt Obieta, der «aus purem Versehen» in die Kunst rutschte. «Eigentlich bin ich gelernter Buchhändler, der anschliessend Computer Science und danach Interaction Design studierte.» Seinen Master in «Transdisziplinarität in den Künsten» hat er seit diesem Sommer in der Tasche. Über zwei Jahre hat er im Rahmen seiner Masterarbeit an diesem Projekt gearbeitet. «Deshalb liegt mir das Werk sehr am Herzen, und ich freue mich, es an der Jungkunst einem grossen Publikum zugänglich zu machen.»