ZHAW-Projekt
Studierende unterstützen Flüchtlinge im Alltag
Wie löse ich ein ÖV-Ticket am Automaten? Wo kann ich in Winterthur günstig einkaufen? Drei Ergotherapiestudierenden geben jungen Menschen mit Fluchterfahrungen Tipps für den Alltag in der Schweiz.
Ein Zugticket über die SBB-App lösen. Ein Kinderspiel. Könnte man zumindest meinen. Doch für gewisse Menschen kann diese Alltagssituation zur Herausforderung werden, gerade für Flüchtlinge, die in der Schweiz ein neues Zuhause suchen. Es gibt zahlreiche solcher Beispiele, die Asylbewerber täglich überfordern. Was sie brauchen, sind Tipps, um diese meistern zu können. Diese erhalten sie von verschiedenen Organisationen wie dem Schweizerischen Roten Kreuz oder Caritas – und seit kurzem auch von Luna Kunz, Mijo Lovric und Léonie Schneider. Die drei Ergotherapiestudierenden organisieren im Rahmen einer Projektarbeit fünf Abende, an denen sie jungen Geflüchteten Alltagstipps geben. Zuerst theoretisch an der ZHAW, direkt anschliessend draussen in der Praxis.
«Ergotherapeutinnen und -therapeuten wollen die Selbstständigkeit ihrer Klienten fördern und ihnen Dinge ermöglichen, die sie im Alltag gerne machen», erklärt Luna Kunz das Berufsbild. Klassisch komme die Praxis nach einem Unfall oder einer sonstigen Einschränkung zur Anwendung. «Die Ergotherapie passt auch zu Menschen mit Fluchterfahrung. Die Zukunft in ihrer neuen Heimat ist unsicher, sie sind sehr eingeschränkt und haben wenig Möglichkeiten, um selbstständig zu sein.» Ein Teil der Identität gehe auf der Flucht verloren. «Es ist schwierig, diese wieder zu finden, weil Gewohnheiten von früher nicht so einfach aufgenommen werden können.» Ihre Kollegin Léonie Schneider ergänzt: «Es gibt so viele Dinge im Alltag, die für uns selbstverständlich sind, weil wir in der Schweiz aufgewachsen sind. Für geflüchtete Menschen sind diese völlig fremd, deshalb müssen sie vieles neu lernen.» Für Sozialarbeitende sei es schwierig, alle Bereiche abzudecken. Auch deshalb, weil viele Alltagsthemen zu Beginn nicht gleich relevant wirken, «weil man nicht weiss, wie herausfordernd diese sind», so die 23-Jährige. Mit dem Projekt wollen die drei die Integration fördern, indem sie Wert darauflegen, was die Asylsuchenden mitbringen. «Sie alle haben eine Vorgeschichte», sagt Kunz. «Ihre Stärken können sie hier meistens nicht einsetzen. Das macht sie zu Anfängern im Alltag, was schade ist.»
Inhalt richtet sich nach Bedürfnissen der Teilnehmenden
Die ZHAW-Studierenden werden in ihrem Projekt vom Verein Sportegration unterstützt, der Geflüchtete durch Sport nachhaltig integriert. Das bestehende Kursangebot wollen die drei mit ihren Workshops ergänzen. Den Vorsitzenden des Vereins haben sie ihre Idee und Vorstellung präsentiert und anschliessend gemeinsam die Themenblöcke erarbeitet. «Wir erhielten Inputs zum konkreten Bedarf der Teilnehmenden», sagt Schneider. Die Bedürfniserhebung wurde am ersten Workshop-Abend weiter vertieft, fährt Mijo Lovric fort. «Ergotherapeutinnen und -therapeuten arbeiten sehr klientenzentriert. Wir passen den Inhalt den Teilnehmenden an, damit sie davon profitieren können.»
Der Verein Sportegration bringt Geflüchtete und Einheimische zusammen und nutzt Sport als Basis und Mittel für eine nachhaltige Integration. Potenzialentfaltung, Chancengleichheit sowie eine ganzheitliche Gesundheitsförderung stehen dabei ebenso im Fokus wie der interkulturelle Austausch. Seit der Gründung 2016 wurden mehr als 4500 Teilnehmende erreicht, die regelmässig die mittlerweile 50 Kurse in zwei Kantonen und 14 Sportarten besuchen. Der Verein ist stets auf der Suchen nach neuen Freiwilligen und Räumlichkeiten für seine Angebote.
Einer Gruppe aus rund 15 Flüchtlingen, die meisten aus Afghanistan, erklärten sie, wie ein Ticketautomat am Bahnhof funktioniert, riefen gemeinsam den Busfahrplan auf dem Handy ab oder brachten Alu, Plastik und Papier in die Sammelstelle. Einen anderen Abend widmeten sie dem günstigen Einkaufen. «Wir haben verschiedene Läden vorgestellt wie den Caritas Markt oder Brockenhäuser», sagt Lovric. Auch digitale Auktionshäuser wie Ricardo oder den Marketplace auf Facebook zeigte der 29-Jährige der Workshop-Gruppe, sodass diese in Zukunft günstiges Mobiliar, Kleidung und Lebensmittel beschaffen kann.
Der letzte Abend steht noch an. Am 12. April wollen sie während rund zweieinhalb Stunden über Freizeitgestaltung und -angebote in Winterthur sprechen. «Wir erhalten viele Fragen zu diesem Thema», erzählt Schneider, die, wie auch ihre beiden Mitstudierenden, schon vor dem Studium freiwillig Menschen mit Migrationshintergrund unterstützte. Die Teilnehmenden würden sich insbesondere für Sportaktivitäten oder Angebote, um intensiver Deutsch zu lernen, interessieren.
Die Sprachbarriere als grosse Herausforderung
«Wir merkten bereits am ersten Abend, dass wir sehr flexibel sein müssen», blickt Luna Kunz auf die letzten Wochen zurück. «Eine gute Dynamik war früh vorhanden», erzählt die 31-Jährige. «Es ist sehr spannend, aber auch herausfordernd.» Vor allem die Sprachbarriere sei eine Hürde. Die Mehrheit verstehe noch praktisch kein Deutsch. Eine Person übersetzt jeweils für die anderen. «Beide Seiten sind sehr bemüht, sich gegenseitig zu verstehen. Es besteht dennoch ein gewisses Risiko, das man sich zustimmt, obwohl man nicht vom gleichen spricht.»

Setzten sich im Rahmen eines Studierendenprojekts für junge Geflüchtete ein (von links): Luna Kunz, Léonie Schneider und Mijo Lovric.
zvg
Für Léonie Schneider war insbesondere das Einarbeiten in die Materie energieraubend. Das habe sich aber gelohnt. «Die Treffen waren bislang sehr schöne Erfahrungen. Ich war positiv überrascht, wie wohl ich mich in der Gruppe fühle.» Die angehenden Bachelorabsolventen würden spüren, wie sehr auch die Teilnehmenden das Angebot schätzten. «Sie tauschen sich untereinander aus und ziehen andere mit», freut sich Mijo Lovric. Nach jedem Workshop würden neue Leute der WhatsApp-Gruppe beitreten. «Das werten wir als positiv.»