Publiziert 15. Feb. 2023, 08:34
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Neues Start-up in Winterthur

Ukrainische Entwickler sollen dem hiesigen Fachkräftemangel entgegenwirken

Wer einen Software-Ingenieur sucht, wird bei Deruny fündig: Das Start-up vermittelt ukrainische Entwickler an Schweizer Unternehmen. Mitgründer Julian Stylianou spricht von einer Win-Win-Situation.

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Ramona Kobe
Wollen dem Fachkräftemangel in der Schweiz entgegenwirken und ukrainischen Talenten helfen, Geld zu verdienen: Die vier Deruny-Gründer Julian Stylianou, Anna Shvetsova, Joel Sonderegger und Nazar Gulyk (von links).

Wollen dem Fachkräftemangel in der Schweiz entgegenwirken und ukrainischen Talenten helfen, Geld zu verdienen: Die vier Deruny-Gründer Julian Stylianou, Anna Shvetsova, Joel Sonderegger und Nazar Gulyk (von links).
Fotomontage: zvg / rk

Die Winterthurer Start-up-Szene ist um ein Unternehmen reicher. Das Konzept von Deruny, deren Dienstleistung seit heute verfügbar ist, ähnelt jenem einer Personalvermittlung: Die Firma rekrutiert im Auftrag von Arbeitgebern neue Mitarbeitende, um ihre offenen Stellen zu besetzen. Sie übernimmt die Suche und schlägt dem Unternehmen passende Kandidaten vor – allerdings nur solche, die als Software-Entwickler oder in entwicklungsnahen Rollen arbeiten. Das ist das Besondere daran, wie Mitgründer Julian Stylianou sagt. «Zusätzlich kümmern wir uns auch um alle Aufgaben, die in der Regel die HR-Abteilung übernehmen würde.»

Die Idee für das Start-up entstand im vergangenen Jahr nach dem Ausbruch des Kriegs. «Der IT-Sektor in der Ukraine ist gross und wächst mit hohem Tempo», so Stylianou. Gemäss einem ukrainischen IT-Bericht würde die Branche rund 300’000 Menschen mit einer jährlichen Wachstumsrate von über 23 Prozent beschäftigen. «Wir lösen mit Deruny unsere eigenen Probleme hier in der Schweiz», fährt der Unternehmer fort. «Wer ein Start-up gründet, ist auf Tech-Teams angewiesen.» Stylianou weiss aus eigener Erfahrung, wie schwierig es sein kann, qualifizierte Software-Entwickler zu finden, die bezahlbar sind. «Der Bedarf ist gross, der hiesige Markt aber verhältnismässig klein.» So würden viele Unternehmen auf Partner im Ausland zurückgreifen. Allerdings seien diese nicht immer gleich verlässlich. Auch davon kann Stylianou ein Lied singen. Nachdem die Zusammenarbeit mit einem Partner aus Polen nicht gut funktioniert hatte, fand er eine Anschlusslösung in der Ukraine. So kam er erstmals mit Nazar Gulyk in Kontakt, der nun die Geschäfte von Deruny in der Ukraine leitet.

Julian Stylianou

«Der IT-Sektor in der Ukraine ist gross und wächst mit hohem Tempo»

«Er kam nach Winterthur an die ‹Startup Nights› und zeigte Interesse, unser Ökosystem kennenzulernen», erzählt Stylianou und spricht von einem «perfekten Zusammenspiel». «Nazar hat den Zugang zu den Unternehmen in der Ukraine, wir die nötigen Kontakte in der Schweiz.» Auch der Firmenname weist auf das Zusammenspiel der beiden Länder hin. Deruny ist ein ukrainisches Gericht, das der Rösti ähnlich ist. «Der Name soll zum Ausdruck bringen, dass es sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen der Ukraine und der Schweiz gibt. Wir wollen beiden Seiten zu Erfolg verhelfen.»

Eine Win-Win-Situation

Nebst Gulyk sei auch Anna Shvetsova von Beginn her Feuer und Flamme für das Projekt gewesen. Sie flüchtete nach Ausbruch des Kriegs in die Schweiz und ist froh, ihre Heimat auf diese Weise zu unterstützen, wie sie sagt. «Es war ein turbulentes Jahr, in dem viele Entscheidungen getroffen werden mussten.» Eine der besten: Sie arbeitete für die Swiss Startup Association, was ihr half, schnell Kontakte zur lokalen Gemeinschaft zu knüpfen. «Es ist ein nachhaltiger Weg, um Investitionen in die Ukraine auf sinnvolle Weise zu tätigen und daher eine grossartige Win-Win-Situation für alle Involvierten.»

Der Vierte im Bunde ist Joel Sonderegger. Er verfügt, wie auch Julian Stylianou, bereits über viel Erfahrung im Gründen von neuen Unternehmen. In seinen Augen ist das Projekt die perfekte Ergänzung zur traditionellen Agenturarbeit. «Ist ein digitales Produkt fertiggestellt, wird es von den Kunden übernommen. Deshalb ist es wichtig, dass das Produkt von qualifizierten Leuten gepflegt wird.»

«Wollen kein kurzfristiges Bodyleasing»

Vieles müssen die Gründer von Deruny noch herausfinden, etwa, wie die optimalen Prozesse laufen sollen. Fest steht aber: «Wir wollen kein kurzfristiges Bodyleasing», betont Stylianou. Auch deshalb gewährt Deruny den Kunden Rabatte, falls diese die ukrainischen Entwicklerinnen und Entwickler etwa mit Aktien oder Optionen beteiligen. «Wir hoffen, dass dadurch das Commitment zwischen dem Schweizer Unternehmen und den ukrainischen Angestellten grösser ist.»

Julian Stylianou

«Ich bin optimistisch, dass sich die Situation bald stabilisiert und sich die Ukraine positiv entwickelt»

Noch handle es sich beim neuen Unternehmen um ein Nebengeschäft. Lohn können sich die vier keinen auszahlen. Dafür würden die monatlich 500 Franken nicht reichen, welche Unternehmen bezahlen, die über das Start-up Mitarbeitende anstellen lassen. «Wir wollen organisch wachsen», sagt Stylianou. «Können wir in den ersten sechs Monaten zehn Leute vermitteln, sind wir zufrieden.» Ihm sei aber auch bewusst, dass der Krieg die Schweizer Unternehmen verunsichert habe. Für den Erfolg in der Zusammenarbeit mit Remote-Entwickler sei neben den Qualifikationen vor allem die Art und Weise, wie mit den Leuten vor Ort kommuniziert werde, wichtig. Beeinträchtig sieht sich Stylianou aufgrund der aktuellen Lage im Osten aber nicht, im Gegenteil. «Ich bin optimistisch, dass sich die Situation bald stabilisiert und sich die Ukraine positiv entwickelt.»