Publiziert 16. Feb. 2023, 14:43
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Krebs-Spezialist Dr. med. Daniel Zwahlen am KSW im Interview

«Die Immuntherapie ist ein Segen»

Wie wird Krebs heute behandelt? Auf diese Frage versucht Daniel Zwahlen, Leiter der Klinik für Radio-Onkologie am KSW, Antworten zu geben – im Interview mit 84XO und an den «Tumortagen Winterthur».

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Ramona Kobe
Die Strahlentherapie ist neben der Operation und Chemotherapie eine der zentralen Säulen der Krebsbekämpfung. In Zukunft wird es vermehrt Kombinationstherapien geben, ist Facharzt für Radio-Onkologie Daniel Zwahlen überzeugt.

Die Strahlentherapie ist neben der Operation und Chemotherapie eine der zentralen Säulen der Krebsbekämpfung. In Zukunft wird es vermehrt Kombinationstherapien geben, ist Facharzt für Radio-Onkologie Daniel Zwahlen überzeugt.
Ramona Kobe

Die Diagnose Krebs stellt das Leben von einem Moment auf den anderen auf den Kopf. Ärztinnen und Ärzte bilden sich an nationalen und internationalen Kongressen ständig weiter, tauschen sich mit Kollegen und Expertinnen aus. Betroffene und ihre Angehörigen haben diese Möglichkeit nicht. Um diese Lücke zu schliessen, führt das Kantonsspital Winterthur mit diversen Partnerspitälern seit 16 Jahren den Patientenkongress «Tumortage Winterthur» durch. Am kommenden Freitag und Samstag, 17. und 18. Februar, haben Interessierte die Möglichkeit, mehr über die Entstehung, die neuen Behandlungsmöglichkeiten oder über Präventionsmassnahmen zu erfahren. Mit dabei ist seit 2019 auch Prof. Dr. med. Daniel Zwahlen. 84XO hat mit dem Leiter der Klinik für Radio-Onkologie am KSW über die Krankheit gesprochen, von der in der Schweiz jährlich rund 45'000 Menschen neu betroffen sind.

Professor Zwahlen, wie behandeln wir Krebs in zehn Jahren?

Daniel Zwahlen: Es wird mehr Kombinationstherapien geben. Weil wir immer besser verstehen, wie Krebs entsteht und wie die verschiedenen Behandlungsarten funktionieren, können wir enger zusammenarbeiten. Hinzu kommt, dass durch die Hilfe der Künstlichen Intelligenz viel aus vorhandenen Daten herausgelesen und für die Therapie genutzt werden kann. In der Chirurgie wird die Robotik eine grosse Rolle spielen. So kann noch schonender operiert werden. Mit neuen Maschinen werden wir präziser bestrahlen können. Und nicht zuletzt hat die Immuntherapie riesige Fortschritte gemacht. In Zukunft werden wir wohl noch genauer wissen, wie wir das Immunsystem in der Krebsmedizin nutzen können.

Die Medizin kann das Immunsystem beeinflussen? Das müssen Sie erklären.

Das Immunsystem ist gemacht, um das Fremde zu erkennen. Alles, was nicht eigen ist, wird abgelehnt. Bei gewissen Tumoren, die mit externen Faktoren zusammenhängen, Lungen- oder Hautkrebs zum Beispiel, löst man die «Handbremse» des Immunsystems mit Medikamenten und erlaubt den Abwehrzellen, die eigenen, aber bösartigen Zellen zu attackieren. Doch die «Handbremse» darf nicht zu fest gelöst werden. Das gesunde Gewebe soll möglichst nicht angegriffen werden.

Daniel Zwahlen

«In Zukunft werden wir einen Tumor als chronische Krankheit betrachten»

Wie stehen Sie als Facharzt für Strahlentherapie zu dieser Behandlung?

Die Immuntherapie revolutioniert die onkologische Behandlung. Sie ist ein Segen, aber kein Allerheilmittel. Patienten mit Tumoren in fortgeschrittenen Stadien können so über lange Zeit stabilisiert werden. Ob man das Heilung nennen möchte, lasse ich offen. In Zukunft werden wir einen Tumor als chronische Krankheit betrachten. Heisst: Der Krebs ist zwar noch da, aber nicht aktiv. Zwar sind Betroffene noch auf Therapien angewiesen, womöglich auch dauerhaft, aber sie sterben nicht mehr daran und erreichen im besten Fall sogar die normale Lebenserwartung.

Viele Tumore, die früher das Todesurteil bedeuteten, sind heute heilbar. Dennoch gibt es Krebserkrankungen, die man nicht behandeln kann. Wieso?

Die Zelle ist darauf trainiert, zu überleben. Das ist ihre Hauptmotivation. Eine defekte Zelle kann man nicht so einfach vernichten, sie hat viele Mechanismen eingebaut, um sich wehren zu können. Ein weiteres Problem dabei: Eine Tumorzelle ist nicht isoliert, sie sitzt nicht allein in einem Raum. Sie ist in einem Körper, eingebettet in einem Organismus. Wie viel gesundes Gewebe wird in Mittleidenschaft gezogen? Das ist immer die Frage. Die Nebenwirkungen einer Therapie müssen in Rechenschaft gezogen werden. Wenn ein Medikament den Tumor entfernt, der Patient aber verstirbt, wäre das keine gute Behandlung.

Lungenkrebs, wie hier auf dem Bildschirm zu sehen, gehört nach wie vor zu den häufigsten Tumor-Erkrankungen.

Lungenkrebs, wie hier auf dem Bildschirm zu sehen, gehört nach wie vor zu den häufigsten Tumor-Erkrankungen.
Ramona Kobe

Sie referieren an den bevorstehenden Tumortagen unter anderem zum Thema Brustkrebs. Wie sehen die Abläufe aus – von der Diagnose bis zur Therapie?

In der Regel werden Patientinnen von Frauenärzten oder über das Vorsorgeprogramm zugewiesen. In der Mammographie wurde etwas gesehen, das nicht normal erscheint. Wir entnehmen eine Gewebeprobe, um herauszufinden, ob der Tumor gut- oder bösartig ist. Zwischen der Mammographie, dem Verdacht, und der tatsächlichen Biopsie und anschliessenden der Behandlung soll möglichst wenig Zeit vergehen. Das messen wir auch, das ist ein Qualitätsfaktor. Wenn die Diagnose steht, gehts ans Tumorboard. Das ist eine Konferenz unter Spezialisten. Sie studieren im Vorfeld die Daten der Betroffenen, diskutieren die Fakten und bilden sich eine Meinung zur Behandlung.

Welche Behandlungen für Brustkrebs gibt es heute?

Es gibt drei Pfeiler: die Chirurgie, die medikamentöse Therapie und die Bestrahlung. Die Immuntherapie als neue, vierte Einheit ist bei Brustkrebs noch in der Testphase. Wann welche Behandlung angewendet wird, hängt primär vom Stadium ab. Auch das Alter und Vorerkrankungen spielen eine Rolle. Da in der Schweiz viele Frauen zu Vorsorgeuntersuchen gehen, werden Tumore oft im Frühstadium erkannt. Diese lassen sich operieren, ohne dass die Brust amputiert werden muss. Das ist heute ganz wichtig. Wir versuchen immer, brusterhaltend zu behandeln. In der Expertenwelt ist man immer noch der Meinung, dass Tumore entfernt werden müssen. Wer behauptet, dass es eine gleichwertige Alternative zur Operation gibt, müsste das in einer Studie beweisen.

Kann ich präventiv etwas machen, um Brustkrebs vorzubeugen?

Ja. Allgemein gilt: Nicht rauchen, wenig Alkohol, kein Übergewicht und viel Bewegung. Wer diese Faktoren beachtet, hat eine kleinere Chance, Krebs zu erhalten. Das weiss man heute. Es lohnt sich auch zu prüfen, ob es Hinweise auf eine Veranlagung gibt, wenn in der Blutsverwandtschaft gehäuft Tumore auftreten.

Daniel Zwahlen

«Die Mehrheit der Tumore entsteht sporadisch, nur selten werden diese über die Keimbahn an Nachkommen weitergegeben»

Wie genau ist Krebs vererbbar?

Im genetischen Code ist festgelegt, wie sich eine Zelle zu verhalten hat. Gibt es Fehler – wir nennen diese Mutationen –, können diese über die Keimzellen vererbt werden, sodass es zu Fehlleistungen kommen kann. Die Zelle entzieht sich so zum Beispiel dem eingebauten Alterungsprogramm oder das Wachstumsprogramm wird angekurbelt und die Zelle teilt sich wie wild. Allerdings entsteht die Mehrheit der Tumore sporadisch, nur selten werden diese über die Keimbahn an Nachkommen weitergegeben.

Die «Tumortage Winterthur» finden bereits zum 16. Mal statt. Wieso braucht es eine solche Veranstaltung?

Der Ursprunggedanke war, die Patienten mehr einzubeziehen. Sie sollen regelmässig über die neusten Erkenntnisse informiert werden und erfahren, wie Krebs heute behandelt wird. Und zwar in einer Sprache, die für alle Teilnehmenden verständlich ist. Wir reden deshalb zum Beispiel nicht von Mammakarzinom, sondern von Brustkrebs.

Das heisst, es nehmen vor allem Patienten teil?

Patienten und ihre Angehörigen, ja. Wer nicht an Krebs erkrankt ist, informiert sich in der Regel weniger darüber. Ich bin seit 2019 dabei. Es gibt Patienten, die jedes Jahr an der Veranstaltung teilnehmen. Natürlich stossen auch immer wieder neue dazu. Deshalb stehen Jahr für Jahr die gleichen Schwerpunktthemen auf dem Programm.

Daniel Zwahlen ist Leiter und Chefarzt der Klinik für Radio-Onkologie am Kantonsspital Winterthur.

Daniel Zwahlen ist Leiter und Chefarzt der Klinik für Radio-Onkologie am Kantonsspital Winterthur.
Ramona Kobe

Diese wären?

Brust-, Prostata-, Lungenkrebs sowie Tumore im Magendarmtrakt. Daran leiden die meisten Menschen. Entsprechend weit ist die Forschung in diesen Bereichen. Wir schauen aber auch Nischenthemen an, wie Knochentumore oder spezielle Therapieformen. Die Faktoren Ernährung und Sport werden ebenfalls thematisiert.

Spüren Sie bei den Teilnehmenden eine Art Scham, dass sie an Krebs erkrankt sind?

Es gibt Betroffene, die sprechen sehr offen über ihre Erkrankung, andere weniger. Es kommt auch immer auf das betroffene Organ an. So oder so: Die «Tumortage Winterthur» sind ein respektvoller Event, der nicht mit einem Jahrmarkt zu vergleichen ist. Eine gewisse Diskretion braucht es einfach. Es besteht die Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen. Was wir aber klar sagen: Es ist kein Kongress, an dem Krankengeschichten besprochen werden. Das wäre unseriös. Es ist auch keine Beratungs-, sondern eine Informationsveranstaltung.