Publiziert 14. März 2023, 10:44
8310

Neue Führung im The Valley

Auf den Spuren von Julius Maggi

Die Bouillon ist verschwunden, doch der Pioniergeist von Julius Maggi lebt weiter. Ab Samstag bietet das House of Winterthur Führungen durch The Valley an. 84XO erhielt eine erste Kostprobe.

R
Ramona Kobe

Ohne Halt zischt der Zug vorbei. Bauarbeiter sorgen am Haus nebenan für zusätzliche Dezibel, Autos schlängeln sich durch das schmale Areal. Zwar werden neben dem Bahnhof Kemptthal keine Bouillonwürfel und Fertigsuppen mehr hergestellt, trotzdem ist einiges los im The Valley, wie das Gelände heute heisst. Diesem widmet das House of Winterthur neu eine monatliche Führung. Den Medienschaffenden wurde der geschichtsträchtige Ort bereits am Montagmittag nähergebracht: Stadtführerin Trudi Neff führte die Anwesenden durch das 20 Fussballfelder grosse und ein Kilometer lange Areal, wo Julius Maggi vor 150 Jahren mit dem Bau seiner Bouillon-Fabrik begann. Früher produzierten zu Spitzenzeiten 1200 Personen Bouillonwürfel und die weltbekannte Maggi-Würzsauce, heute tüfteln rund 1000 Leute in etablierten wie auch jungen Unternehmen an Lebensmittel-Innovationen. Mittlerweile haben über 130 Firmen im The Valley ihren Standort gefunden.

Als das Areal vor fünf Jahren in neue Hände überging, hatten die Besitzer eine klare Vision: Der Ort soll ein kleines Silicon Valley werden, wo Innovation und Kreativität gelebt werden. Von Montag bis Sonntag, Tag und Nacht, soll «in irgendwelcher Form an irgendwelchem Ort», etwas los sein, erklärt Stadtführerin Neff, die es schafft, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der einstündigen Führung geschickt miteinander zu verknüpfen. Im Inneren der Motorworld Manufaktur, die Erlebniswelt und zugleich Marktplatz ist, erinnert eine Wandzeichnung daran, dass hier früher Maggi-Produkte verpackt und für den Transport vorbereitet wurden. Weiter vorne im Gebäude, wo heute Racing-Simulatoren stehen, wurde das Gemüse gerüstet. «Der Standort hier an der Gleisen war für Julius Maggi ein Glücksfall», erzählt Neff. So war seine Fabrik an die ganze Welt angebunden. Insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent sei die Würzsauce sehr verbreitet. Die Mobilität ist nach wie vor einer der grossen Themenbereiche auf dem Areal. Vom Oldtimer-Bus bis zum rot glänzenden Ferrari: An fast jeder Ecke steht ein Hingucker-Gefährt. Auch einer der teuerste Sportwagen der Welt, der Bugatti Veyron, befindet sich auf dem Gelände. «Julius Maggi war der erste Fabrikbesitzer der Schweiz, der ein Auto besass», nennt Trudi Neff eine weitere Anekdote aus dem Leben des Pioniers.

Den Maggi-Farben treu geblieben

Mozzarella, Pralinen, pflanzliches Pouletgeschnetzeltes – das Kemptthal bleibt ein Ort, an dem die Ernährung im Zentrum steht. So verfügt The Valley über mehrere Restaurants. Das ehemalige Personalrestaurant, das heute von der Migros Ostschweiz betrieben wird, wurde komplett restauriert, behielt aber den Charakter von damals. Insbesondere die grossen Fenster mit den leicht gewellten Scheiben gedenken der ehemaligen Maggi-Fabrik. Oder auch die dunkelroten Fensterrahmen. «Rot und Gelb waren die Farben Maggis», sagt Neff.

Ein besonderer Hingucker: Die Decke im restaurierten Restaurant. Diese wurde zufällig entdeckt.

Ein besonderer Hingucker: Die Decke im restaurierten Restaurant. Diese wurde zufällig entdeckt.
Ramona Kobe

Im Inneren des öffentlichen Restaurants zieht die Decke die Blicke auf sich. «Diese fand man beim Umbau rein zufällig», fährt die Stadtführerin fort. «Allerdings ist nichts über deren Geschichte bekannt.» Und sie fügt an: «Julius Maggi wusste: Wenn seine Leute gut genährt sind, ist die Arbeitsleistung hoch.»

Als das Imperium bröckelte

Als er 1867 die Mühle des Vaters übernahm, rechnete er mit einem sicheren Erwerb. Doch die Industrialisierung in der Schweiz entwickelte sich gut. Schon bald wurde der Weizen aus Amerika importiert. Es kam zu einem Überschuss. Die Folge: Der Mehlpreis war nicht mehr stabil, Maggis Imperium bröckelte. Und so wusste er: Will er überleben, muss er etwas ändern. Nur: Aus Erbsen, Bohnen und Linsen war es nicht so einfach, ein Produkt herzustellen, das der menschliche Körper nicht nur verträgt, sondern das auch schmeckt. Insbesondere die Arbeiter fanden zu Beginn keinen Anklang an den neuen Rezepturen. «Das Bürgertum hingegen schon», erzähl Trudi Neff. So tüftele Maggi weiter an seinen Suppen-Rezepten. Mit Erfolg: Im Jahr 1884 waren bereits 20 verschiedene Suppenaromen auf dem Markt.

Julius Maggi begann vor 150 Jahren mit dem Bau seiner Fabrik.  Diese Wandbemalung erinnert an den Pionier.

Julius Maggi begann vor 150 Jahren mit dem Bau seiner Fabrik. Diese Wandbemalung erinnert an den Pionier.
Ramona Kobe

Maggis Faszination für die Leguminose, eine der artenreichsten Pflanzenfamilien, die auch als Hülsenfrüchtler bekannt ist – er wollte gar seine Tochter danach benennen–, lebt heute das ETH-Spin-off Planted weiter, produziert der Fleischersatz-Hersteller seine Produkte doch aus Erbsen und Erbsenprotein. Nur der Hintergrund ist ein anderer, weiss Neff. «Maggi verwertete die Hülsenfrüchte aufgrund der Mangelernährung, Planted wegen des Klimas.»

Ständig im Wandel

Auch wenn schon die nächsten Gebäude für Forschung, Entwicklung und Produktion umgebaut werden, ist The Valley längst nicht dort, wo es gerne sein möchte. «Wir sind noch ein Arbeitsort», sagt Simon Schmid, Leiter Events und Operations von The Valley Event AG. Diese hat sich zum Ziel gesetzt, dass wieder mehr Leben ins Dorf einkehrt. «Kommen Sie in einer Woche nochmals vorbei, dann sieht vieles bereits anders aus.»

Isabelle Grealish

«Die Vorbereitungen waren aufwendiger als gedacht»

Die Eventfactory bot selbst auch Arealführung an. Aufgrund der grossen Nachfrage wandte man sich schliesslich ans House of Winterthur, erzählt Isabelle Grealish, Managerin City Tours. Es ist die erste Führung ausserhalb der Winterthurer Stadtgrenzen. Die Thematik passe aber dennoch gut, zumal die Stadtführerinnen und Stadtführer viel über die hiesige Industriegeschichte wissen würden. Eins zu eins übernehmen konnte man die Führung nicht. «Tatsächlich waren die Vorbereitungen aufwendiger als gedacht», sagt Grealish. Nach fünf Monaten Planung sei man nun bereit für die erste Führung am kommenden Samstag. «Es hat noch ein paar wenige freie Plätze.»

Das könnte Sie auch interessieren