Publiziert 11. Jan. 2022, 15:48
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Fokus Verkehr

«Flüsterbeläge und weniger Stop-and-go nützen mehr»

Interview mit Alain Hüppi

G
George Stutz
Strassenbauunternehmer Alain Hüppi.

Strassenbauunternehmer Alain Hüppi.
zvg

Flüsterbelag-Pionier Peter Hüppi inspiziert den Belagseinbau am Flughafen Zürich.

Flüsterbelag-Pionier Peter Hüppi inspiziert den Belagseinbau am Flughafen Zürich.
zvg

Neben der Sicherheit steht bei der geplanten flächendeckenden Einführung von Tempo-30 in Städten wie Zürich und Winterthur der Lärm im Vordergrund. Umstritten sind vorab Geschwindigkeitsreduktionen auf Hauptverkehrsachsen, die mitunter auch den ÖV und die Blaulichtorganisationen ausbremsen würden. Tempo-30-Befürworter argumentieren mit einer fälschlichen Lärmreduktion um 3 Dezibel, zumal Messungen in der Stadt und im Kanton Zürich ergeben haben, dass sich der Lärm mit Tempo 30 nur um 1,46 Dezibel (tagsüber) und 1,98 Dezibel (nachts) reduzieren lässt. Als wirksamste Massnahme zur Lärmreduktion gelten hingegen Flüsterbeläge. Diese führen gemäss Bundesamt für Umwelt zu Lärmreduktionen von durchschnittlich 6 Dezibel – anfänglich sogar deutlich mehr. Als Pionier und Erfinder des Flüsterbelags gilt der letztes Jahr verstorbene Winterthurer Strassenbau-Unternehmer Peter Hüppi – der Patenonkel von Alain Hüppi, der heute zusammen mit seinem Bruder Patrick die Hüppi AG leitet.

Die Hüppi AG Strassen- und Tiefbau gilt als eine der Vorreiterinnen bezüglich Flüsterbelag. In welcher Zeitspanne haben Sie einen solchen entwickelt?

Alain Hüppi: Bereits in den 70er-Jahren begann die Hüppi AG in ihrem eigenen Baulabor (heute Viatec AG) eine Bitumen-Emulsion mit Gestein anstelle von Teer zu mischen. Mit der Zugabe von Polymeren im Bitumen konnte schliesslich die «Klebefähigkeit» innerhalb des Belags erhöht werden. Der erste Flüsterbelag war geboren. Damit begann die Reise aber erst. Und sie ist noch nicht zu Ende. Der Kanton Zürich hat einen lärmarmen Belag ohne die bisherigen negativen Eigenschaften entwickelt (AC8).

Können Sie den Aufbau eines solchen erklären, was macht den Unterschied beim Einbau?

Die oberste Schicht von Strassen besteht aus kleinen Steinchen, die zusammengeklebt und festgewalzt werden. Bei den Mischungen für einen Flüsterbelag werden grössere Steinchen verwendet, was auch die Hohlräume dazwischen vergrössert. In diesen Hohlräumen verschwindet schliesslich ein Teil der darüber rollenden Pneu-Geräusche. Deshalb spricht man in Fachkreisen vom offenporigen Asphalt. Für den Einbau eines solchen braucht es erfahrene Mitarbeiter, da er witterungsanfälliger und die Verdichtung (umgangssprachlich Walzen) besonders sensibel ist.

Wo in der Region durften Sie bereits solche Beläge einbauen, wo sind solche geplant?

Aufgrund der wachsenden Lärmproblematik gibt es verschiedentlich Versuchsreihen, um neue Erkenntnisse für den Einsatz zu gewinnen. Mir sind etwa 20 Sanierungen mit lärmarmen Belägen im Kanton Zürich präsent.

Bringt ein Flüsterbelag wirklich so viel mehr als eine Temporeduktion um 20 km/h?

Die Herausforderung beim Lärm ist die subjektive Wahrnehmung, was zu sehr emotionalen und nur bedingt fachlichen Diskussionen führt. Der Glaube, dass sich durch Tempo 30 plötzlich die durchschnittliche Geschwindigkeit um 20 km/h reduziert, gehört ins Reich der Fantasie. Das aktuelle Geschwindigkeitsniveau liegt aufgrund der vielen verschiedenen Verkehrsteilnehmer bereits unter 40 km/h. Wo es also tatsächlich eine Lärmproblematik gibt, sind Massnahmen, wie leise Beläge, weitaus sinnvoller.

Eignet sich ein Flüsterbelag überall, in 30er-Zonen, auf Hauptverkehrsachsen und auch auf Autobahnen, gleich gut? Bringt er überall die gleich grosse Reduktion?

Je höher das Tempo, umso höher auch die potenzielle Lärmreduktion. Das Bundesamt für Umwelt hält klar fest, dass die Abrollgeräusche bei konstanter Fahrweise bereits ab 20 km/h mehr Lärm verursachen als die Antriebsgeräusche. Damit könnte ein leiser Belag bereits in einer 30er-Zone nützlich sein.

Wie gross ist der Kosten-Unterschied zwischen dem Einbau mit herkömmlichem Asphalt und einem mit Flüsterbelag? Oder anders gefragt: Weshalb wird der Flüsterbelag nicht bereits jetzt flächendeckend eingebaut?

Alain Hüppi

«Die Herausforderung beim Lärm ist die subjektive Wahrnehmung, was zu sehr emotionalen und nur bedingt fachlichen Diskussionen führt»

Ein Spezial-Asphalt ist immer etwas teurer, sowohl in der Produktion als auch im Unterhalt. Ginge es tatsächlich um die Lärmreduktion, würde man dafür doch gerne etwas Geld ausgeben. Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass Kosten immer auch dem erzielten Nutzen gegenübergestellt werden müssen. Was können wir dank einer Massnahme erreichen? Welche alternative Massnahme gibt es? Wie hoch sind Nutzen und Kosten dieser möglichen Variante? Mittels dieser Kosten-Nutzen-Betrachtung können wir uns entscheiden, ob allfällige Mehrkosten durch einen Mehrnutzen gerechtfertigt sind.
Erwarten Sie, dass in den nächsten Jahren ein regelrechter Boom bezüglich Einbau von Flüsterbelägen einsetzen wird?
Lärmarme Beläge sollten bei hohen Belastungen immer als Option geprüft werden. Aus meiner Sicht sollten wir jedoch generell den Verkehrsfluss verbessern und von verkehrsbehindernden Massnahmen Abstand nehmen.
Das ständige Stop-and-go, insbesondere eines LKW, ist sowohl für den Lärm wie auch für die Langlebigkeit eines Strassenbelags pures Gift. Wussten Sie, dass ein LKW 50-mal lauter ist als ein PWK? Oder wussten Sie, dass ein LKW die Strasse bis zu 10’000-mal stärker belastet als ein PKW?

Als Unternehmen, das seit jeher zukunftsweisend plant, müssten Sie bereits an einem Belag sein, der ähnlich einer Photovoltaikanlage Strom generieren kann…

Auch wir Strassenbauer haben seit vielen Jahren verstanden, dass wir das Thema Nachhaltigkeit nicht nur publizieren, sondern auch umsetzen müssen. Mit einer Kombination von Massnahmen haben wir beispielsweise in der Zürcher Gemeinde Küsnacht auf einer Länge von rund einem Kilometer gut 270 Tonnen CO2 (entspricht dem jährlichen CO2-Ausstoss von rund 40 Personen) eingespart. Was stromgenerierende Beläge angeht, so gibt es bereits Ansätze in diese Richtung, und wir stehen dazu in engem Kontakt mit den Experten. Aktuell wird an der optimalen Integration von induktiver Ladetechnik in die Strasse geforscht, damit
E-Fahrzeuge während der Fahrt geladen werden können – und nicht bloss an der Steckdose.


Interview: George Stutz