Publiziert 21. Dez. 2021, 16:19
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Fokus Verkehr

«Das Auto zu verbannen hätte nicht nur für den ÖV massive Folgen»

Alt-Nationalrat und Winterthurer Unternehmer Markus Hutter nimmt Stellung zur verkehrspolitischen Lage.

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George Stutz
Alt-Nationalrat und Unternehmer Markus Hutter im Gespräch.

Alt-Nationalrat und Unternehmer Markus Hutter im Gespräch.
gs

Der Winterthurer Unternehmer Markus Hutter war 1994 bis 2002 Winterthurer FDP-Gemeinderat und sass 2003 bis 2014 im Nationalrat, wo er unter anderem der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen angehörte.

Juckt Sie aktuell nicht, dass Sie nicht mehr Politiker in Bern sind und so nurmehr noch als Wähler auf verkehrspolitische Themen Einfluss nehmen können?


Markus Hutter: Eigentlich nicht, ich bin sehr bewusst 2014 zurückgetreten, und damit war mir auch klar, dass meine aktive Einflussnahme im Parlament zu Ende geht. Ich sehe aber heute natürlich in meinem eigenen Unternehmen, wie sehr wir durch die Politik betroffen werden. In meiner Beurteilung läufts zum grossen Teil in die falsche Richtung, weil viel Unverständnis und sogar falsche Eindrücke über den Verkehr in der Schweiz herrschen.

Machen Sie ein Beispiel…


Es ist beispielsweise falsch, den ÖV nur mit der Schiene gleichzustellen. Über 50 Prozent des öffentlichen Verkehrs bewegt sich in der Schweiz auf der Strasse, also Busse, Postautos und so weiter. Weiss man, dass der Autofahrer der einzige Verkehrsteilnehmer ist, der seine Verkehrskosten selbst berappt, so bezahlt dieser mit seinen Steuern darüber hinaus neben den Fahrbahnen und Fusswegen für Velofahrer und Fussgänger auch einen grossen Anteil der Infrastruktur für den sich auf der Strasse bewegenden ÖV, finanziert etwa auch alle Betonplatten vor den Bushaltestellen und vieles mehr.

Anders gesagt: Ohne den MIV (motorisierter Individualverkehr) könnte der ÖV kaum mehr finanziert werden?


Die Finanzen sind ein ganz entscheidender Teil. Bund, Kanton und Gemeinden profitieren massiv vom Individualverkehr. Nicht nur, weil der einzelne Autofahrer alle seine Kosten selbst bezahlt, im Vergleich zur Bahn, die höchstens die Personalkosten aus eigenen Einnahmen bezahlt. Auf jedes gekaufte SBB-Ticket bezahlt der Steuerzahler noch 50 Prozent drauf, damit deren direkten Kosten gedeckt sind. Es sind aber nicht einmal nur die Finanzen, sondern es gibt eine grosse Ungleichheit – von einem fairen Wettbewerb kann man nicht mehr reden.

In Städten wie Winterthur tut die grüne Politik alles, das Auto zu verdrängen. Braucht es demnach bald neue Finanzierungssysteme, um die Kosten des Strassenbaus abzudecken?


Genau. All jene, die vorab auch in den Städten das Auto verdrängen wollen, bedenken nicht, dass ohne die Autofahrer die gesamten Finanzsysteme komplett über den Haufen geworfen würden und zu Lasten jedes einzelnen Steuerzahlers neu aufgegleist und finanziert werden müssten.

Worin bestehen Ihrer Ansicht nach neben finanziellen Ungleichheiten weitere Nachteile für den motorisierten Verkehr?


Dies beginnt beim Nachtfahrverbot für LKW – auf den Schienen darf man auch nachts fahren, oder beispielsweise auch im Bausektor. Man vergleiche, wie lange es dauert, Bauprojekte umzusetzen: Schienenprojekte erhalten innert kürzester Zeit alle Bewilligungen, ganz im Gegensatz zu geplanten Strassenbauten, wo alles ungleich länger dauert. Das sind vielleicht etwas Details, ich möchte aber einfach aufzeigen, dass in vielen Bereichen eine Benachteiligung der Strasse besteht.

Sie bemängeln weiter, dass der Vergleich von Schiene mit Strasse auch bezüglich Lärm hinkt.


Meines Wissens gibt es nur noch in der Schweiz einen sogenannten Schienenbonus betreffend Lärm. Dies ist eine unglaubliche Sache. Beim Schienenverkehr werden einige Dezibel gutgerechnet. Wenn man weiss, dass fünf Dezibel fast einer Verdoppelung des Lärms entsprechen, ist dies eine weitere krasse Bevorteilung gegenüber dem Strassenverkehr. Dieser muss leiser als die Schiene sein. Man begründet dies damit, dass eine Durchfahrt eines Zuges zeitlich eng begrenzt ist, während der Strassenlärm faktisch permanent vorherrscht. Ich bin absolut der Meinung, dass der Lärm nach Möglichkeit reduziert werden muss, aber dann überall mit gleichen Voraussetzungen gemessen wird – im Schienen- wie auch im Strassenverkehr.

Bleiben wir beim Lärm: Die Forderungen nach Temporeduktion von 50 km/h auf Tempo 30 erfolgen nicht primär aus Klima-, als viel mehr aus Lärm- und Sicherheitsgründen. Aus Ihrer Sicht berechtigt?


Der Flüsterbelag bringt wesentlich mehr als Reduktion von 50 auf 30. Ich fordere auch da, dass man dies ohne Scheuklappen und ohne dass man ideologisch an die Sache ran geht beurteilt. Schauen Sie mal die Sicherheit an: Wir haben im Strassenverkehr glücklicherweise eine massive Reduktion von Unfällen mit Todesfolgen – ein Bruchteil von dem vor 30 bis 40 Jahren. Heute passieren 60 Prozent von allen Unfällen mit schweren Verletzungen mit E-Bikes. Im Verhältnis zu den gefahrenen Kilometern ist das E-Bike so das gefährlichste aller Verkehrsmittel. Auch wenn ich E-Bikes ebenfalls eine lässige Sache finde, darf man diese Tatsache doch nicht einfach verschweigen.

Stichwort E-Technologie: Hat der Verbrennungsmotor definitiv ausgedient?


Wenn man jetzt Verbrennungsmotoren verbieten will, obwohl etwa bei der Armee oder einem grossen Teil der Blaulichtorganisationen eine Umstellung auf E-Mobilität gar nicht möglich ist, bringt das Probleme. Meiner Meinung nach hat der Verbrennungsmotor sehr wohl eine Zukunft, in dem er künftig noch viel weniger CO2 ausstossen wird. Die Energiefrage wird, je mehr wir auf Elektro umsteigen, zum entscheidenden Faktor: Kann die erforderliche Strommenge überhaupt produziert werden? Es betrifft nicht nur die Mobilität, sondern auch die Immobilität. Ölheizungen in Häusern müssen ersetzt werden, Wärmepumpen brauchen für den Betrieb aber ebenfalls grosse Strommengen.

Was ist Ihrer Meinung nach die Lösung?


Man darf nicht stur auf einzelne Technologien oder auch Energiequellen setzen, sondern muss die Vorteile jeder Variante herausstreichen und diese entsprechend so nutzen, dass es gesamtheitlich stimmt und schliesslich jeder und jede davon profitiert. Auch zwischen den einzelnen Verkehrsträgern muss ein fairer Wettbewerb herrschen. Die für uns und die Umwelt besten Lösungen sollen sich dort durchsetzen, wo sie am effizientesten sind und am meisten Sinn machen.

Was macht Ihnen als Automobilunternehmer Hoffnung?


Sicher der synthetische Treibstoff, mit dem bestehende Tankstellen und Fahrzeuge wie bis anhin betrieben werden können. Diesen kann man beimischen von anfangs vielleicht 10 Prozent bis schliesslich zu 100 Prozent. Ein Start-up der ETH wird nächstes Jahr bereits die erste Fabrik in Betrieb nehmen. Da die chemische Herstellung ebenfalls Strom braucht, sollen die Herstellungsindustrien bereits in drei Jahren an Orten mit hoher Sonneneinstrahlung, also etwa Spanien, produzieren. Genauso viel CO2 wie in den Fahrzeugen verbrannt wird, wird bei der Produktion entzogen, der Saldo wird also null sein, gleichbedeutend mit CO2-Neutralität. Es wäre aber falsch, nur auf synthetische Treibstoffe, nur auf Elektromobilität oder nur auf Wasserstoff zu setzen, man soll auch hier den Wettbewerb spielen lassen.