Teil 4 der Serie «Winti kocht»
«Verzicht ist selten ein guter Ansatz»
Nicole Reist ist die beste Ultracyclerin weltweit. Doch ihre Erfolge über extreme Distanzen kommen nicht von irgendwoher. Nebst Fleiss und Ehrgeiz spielen Schlaf und Ernährung eine zentrale Rolle im Leben der Rennradfahrerin aus Weisslingen.

Zwei wichtige Themen im Leben der Ultracyclerin Nicole Reist: Schlaf und Ernährung.
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Von der US-amerikanischen Westküste zur Ostküste. Von Oceanside am Pazifik nach Annapolis bei Washington DC. Während Touristen in der Regel mit dem Auto unterwegs sind, legt Nicole Reist die rund 5000 Kilometer lange Strecke mit über 50’000 Höhenmetern mit dem Rennrad zurück. Zweimal nahm die Ultracyclerin aus Weisslingen am «Race Across America», dem wohl härtesten Radrennen der Welt, teil. Zweimal war sie die Schnellste. Neun Tage, 23 Stunden und 57 Minuten brauchte sie 2018 – und stellte damit gleich zwei Schweizerrekorde auf.
Seit zehn Jahren ist Reist in Langdistanz-Rennen ungeschlagen. Die Liste ihrer grössten Erfolge nimmt folglich kaum ein Ende: dreifache Schweizermeisterin, Europameisterin, vierfache Weltmeisterin, um nur ein paar ihrer Titel zu nennen. Somit ist die 37-Jährige, ohne Zweifel, die beste ihrer Disziplin weltweit. Die Gründe dafür: Ehrgeiz, Planung, Fleiss.
Reist steht unter der Woche um 1.30 Uhr auf. Drei Stunden Training. Danach arbeitet sie von 5 bis 16 Uhr als Hochbautechnikerin in einem Architekturbüro. Anschliessend die zweite Trainingseinheit. Nachtruhe ist um 19 Uhr. An den Wochenenden kommt sie zu mehr Schlaf, sitzt aber auch länger auf dem Rennrad – bis zu zehn Stunden am Stück. Pro Woche kommt sie so auf 40 bis 50 Trainingsstunden.
Spät entdeckte Intoleranzen hinterliessen Spuren
Nebst Schlaf – bei Rennen schläft Reist über mehrere Tage praktisch gar nicht – spielt auch die Ernährung eine entscheidende Rolle im Leben der Extremsportlerin. «Nur wenn der Körper mit den richtigen Nährstoffen versorgt wird und hochwertige Lebensmittel bekommt, kann er seine volle Leistung abrufen», sagt die Ultracyclerin. «Der Körper ist wie ein Auto: Ein Benziner läuft nicht mit Elektro oder Diesel.» Die Zeit sowie die optimale Form der Energiezufuhr seien zentral, um Höchstleistungen zu erzielen.
Heute kennt Reist ihren Körper, auch dank der langjährigen Zusammenarbeit mit Ernährungsberatern, sehr genau, weiss also, was ihm guttut und was eben weniger. Doch es war ein «langer und komplexer Weg», wie sie erzählt. «Ich habe eine Gluten- und Fructoseintoleranz. Allerdings hat es sehr lange gedauert, bis wir diese Unverträglichkeiten entdeckt haben.» Das habe Spuren im Darm hinterlassen. Nebst Eisen und Vitamin D3 muss die in Tann Aufgewachsene deshalb Produkte einnehmen, die den Darm unterstützen und sanieren.

Die Extremsportlerin aus Weisslingen leidet an einer Gluten- und Fructoseintoleranz, die erst spät entdeckt wurden.
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Weiter muss die Rennradfahrerin Pasta oder Brot meiden. Das falle ihr aber nicht schwer, zumal sie durch die Intoleranzen viele neue Lebensmittel «gefunden» habe, die sehr lecker seien. Verzicht sei generell ein schlechter Begleiter, wie sie sagt. «Das ist selten ein guter Ansatz. Ich habe den grossen Vorteil, dass ich gesunde und natürliche Lebensmittel lieber mag und entsprechend in meinem Ernährungsplan auf nichts verzichten muss.»
Kniebeugen in der Küche
Weil es ihr wichtig ist, was sie ihrem Körper zuführt, steht sie trotz ihres straffen Zeitplans täglich in der Küche. «Diese Zeit muss ich mir nehmen. Es liegt auf der Hand, dass es kaum meine Leistung unterstützen würde, wenn ich mich mit Fertigprodukten versorgen würde.» Zudem sei es eine willkommene Abwechslung. «Ich finde Kochen etwas Schönes», bekennt Reist. Es müsse ja nicht immer aufwändig sein. Und sie weiss nach all den Jahren auch, wie sie Zeit sparen kann. So kocht sie manchmal am Morgen bereits die Kartoffeln für den Znacht vor – und macht parallel dazu Kniebeugen oder ähnliche Beinübungen. Zusätzlich landen verschiedenes Gemüse und Eier auf dem Teller. Dazu Salat. Linsengerichte sind ebenfalls regelmässig auf dem Speiseplan der Extremsportlerin. Ende Saison darf es auch mal eine normale Pizza sein, verrät Reist. «Die geniesse ich dann sehr, obwohl ich weiss, dass es mir danach nicht wirklich gut geht – bis alles wieder draussen ist, brauche ich einfach ein WC in unmittelbarer Nähe.»
Und wie sieht es mit einem Glas Wein zur Pizza aus? «Alkohol trinke ich seit 20 Jahre keinen mehr», sagt die Athletin. «Ich habe einfach festgestellt, dass ich am Tag danach weniger leistungsfähig bin – auch wenn es nur ein Glas Wein war.» Kaffee hingegen liebe und trinke sie sehr viel. Meistens jedoch ohne Koffein. Denn: «Ich mag einfach den Geschmack von Kaffee und dafür braucht es das Koffein nicht.»
Reines Kalorienzählen bringt nichts
An «normalen» Tagen, an denen Nicole Reist arbeitet und trainiert, sind Frühstück, Mittag- und Abendessen die Hauptmahlzeiten. Hinzu kommen Zwischenmahlzeiten, die Energiezufuhr während des Trainings sowie ein proteinhaltiger Snack vor dem Schlafen. Ganz anders sieht ihr Ernährungsplan an Wettkampftagen aus. «In den Rennen ernähre ich mich zu 50 Prozent flüssig und 50 Prozent fest», erzählt die Weisslingerin. Dahinter stecke eine langjährige Annäherung an die Ernährung, die für sie optimal funktioniere und gleichzeitig gut umsetzbar sei.
Ein Rezept, das bei Nicole Reist häufig auf den Tisch kommt (Mengen, die sie für sich für eine Mahlzeit kocht)
500 Gramm Kartoffeln
500 Gramm saisonales Gemüse
Pilze
4 Eier
Zubereitung:
Kartoffeln und Gemüse weich kochen. Kartoffeln raffeln und zusammen mit dem Gemüse und den Pilzen in die Bratpfanne geben. Eier darunter mischen und nach Belieben würzen.
Reist betont, dass die Tanks mit hochwertigen Lebensmitteln und der richtigen Kalorienzusammensetzung aufgefüllt werden müssen. «Nur das Hochrechnen von Kalorien ist nicht zielführend. Es müssen Kalorien sein, die der Körper optimal verwerten und umsetzen kann.» Bei ihrem Bedarf sei es unerlässlich, den In- und Output im Auge zu haben, so dass möglichst kein Defizit entstehe. «Wichtig ist die Kombination aus Protein, Fett und Kohlenhydraten, denn jede Komponente hat andere Aufgaben im Körper.» Noch entscheidender sei aber, auf seinen Körper zu hören, rät die Ultracyclerin. «Denn dieser weiss sehr genau, was er wann braucht, um leistungsfähig zu sein.»
Das ist der vierte und letzte Teil der 84XO-Serie «Winti kocht». In Teil 1 berichteten wir über Ramesh Shanmuganathan, der als Koch im Kantonsspital Winterthur arbeitet. Teil 2 handelt um Laura Eichhorn, die seit Geburt an Zöliakie leidet, und im dritten Teil versuchte sich unser Chefredaktor als Koch im «Dimensione».